Studie: Testosteron dämpft die Schmerzwahrnehmung
Männern wird gerne nachgesagt, sie seien besonders wehleidig. Doch sind sie tatsächlich schmerzempfindlicher als Frauen? Die Ergebnisse einer aktuellen Studie legen nun eher das Gegenteil nahe: Die Forscher haben zumindest bei männlichen Sperlingen festgestellt, dass der Botenstoff Testosteron - bei Männern bekanntlich reichlich vorhanden, während Frauen sehr viel geringere Mengen des Sexualhormons aufweisen - offenbar die Wahrnehmung von Schmerzen dämpft.




Die Wissenschaftler um Michalea Hau vom Department of Ecology and Evolutionary Biology der Princeton University untersuchten die Schmerzempfindlichkeit beim Haussperling (Passer domesticus). Ihre Ergebnisse sind im Fachmagazin "Hormones and Behaviour" erschienen.

Die Studie ist unter dem Titel "Testosterone reduces responsiveness to nociceptive stimuli in a wild bird" als Online-Vorabpublikation erschienen (doi:10.1016/j.yhbeh.2004.02.007, Online-Datum: 7. Juni 2004) und wird in der kommenden Ausgabe des Fachmagazins publiziert.
Abstract des Artikels


Testosteron: Sexualhormon für Bartwuchs, Libido und Co


Testosteron wird häufig als das wichtigste männliche Sexualhormon bezeichnet, es ist jedoch auch im Blut von Frauen nachzuweisen - allerdings in sehr viel geringeren Konzentrationen.

Tatsächlich spielt der Botenstoff eine wichtige Rolle beim Wachstum der primären Geschlechtsorgane des Mannes und beeinflusst zudem sekundäre Merkmale wie etwa den Bartwuchs.

Nicht zuletzt steuert der Botenstoff bei beiden Geschlechtern auch bestimmte Stimmungen und Verhaltensweisen. Verwiesen wird hier meist auf den Geschlechtstrieb.

Kontrolle aggressiver Verhaltensweisen


Doch es geht noch weiter: "Testosteron ist an der Kontrolle von aggressiven Verhaltensweisen bei männlichen Wirbeltieren beteiligt", schreiben die Wissenschaftler um Hau in ihrer Studie.

Testosteron erhöht demnach die Häufigkeit und Intensität aggressiven Verhaltens während "konkurrenzbetonter Interaktionen unter männlichen Individuen." Man denke vor allem an die mitunter recht handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden Männchen in der Tierwelt.
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Je aggressiver, desto höher das Schmerzrisiko


Doch besonders intensive Aggressionen erhöhen, wie die Studie weiter ausführt, auch das Risiko von Verletzungen - und damit, mutmaßen die Wissenschaftler, auch die Wahrnehmung von Schmerzreizen.

Die Wahrnehmung von Schmerz während männlicher Konkurrenzkämpfe sollte allerdings eigentlich dazu führen, dass in Hinkunft die Bereitschaft der Betroffenen zum aggressiven Verhalten sinken müsste, argumentieren die Forscher weiter.

Testosteron gleichzeitig "Schmerzdämpfer"?


Das wiederum wäre wohl nicht im Sinne der betroffenen Männchen, die sich schließlich gegenüber der Konkurrenz behaupten müssen.

"Wir stellen daher die Hypothese auf, dass eine Funktion von Testosteron während aggressiver Interaktionen darin liegt, die Schmerzempfindlichkeit zu verringern", schreiben die Wissenschaftler um Hau.

Die Hypothese im Sperling-Test


Ein Experiment an Haussperlingen sollte nun den Nachweis erbringen: Die Vögel wurden dafür einem vergleichsweise harmlosen Schmerzreiz ausgesetzt. Eines ihrer Beinchen stand in einem Becher mit heißem Wasser, dessen Temperatur von den Forschern variiert werden konnte.

Gemessen wurde die Zeit, bis die Tiere auf den Stimulus reagierten - und den Fuß einzogen. Je schneller dies geschah, desto stärker war der verspürte Schmerz, meinen die Biologen.

Bei Temperaturen unter 51 Grad Celsius reagierten die Sperlinge demnach erst nach einer relativ langen Zeitspanne. Stieg die Temperatur darüber, wurden die Füße relativ schnell aus dem heißen Wasser gezogen.

Mehr Testosteron - Längere Reaktionszeiten


Die Wissenschaftler behandelten die Vögel nun mit Testosteron - und stellten fest, dass die Reaktionszeiten der Tiere auf zuvor sehr schnell als schmerzhaft wahrgenommene Wassertemperaturen deutlich größer wurden.

Mit dem Hormon behandelte Sperlinge ließen ihre Beinchen demnach etwa drei mal so lange im Wasser wie ihre unbehandelten Artgenossen.

Hormon blockiert: Deutlich schmerzempfindlicher
Das Forscherteam testete zudem die Wirkung einer Substanz, die die Effekte von Testosteron im Körper blockiert: Die Vögel reagierten nun mehr als doppelt so empfindlich auf Wassertemperaturen, die zuvor nur wenig Unbehagen verursacht hatten.


Die offene Frage nach der Wirkweise


Wie genau die Schmerzwahrnehmung via Testosteron gesteuert wird, ist noch unklar. Die Vermutung der Wissenschaftler: Das Hormon könnte eine Signalkette im Körper auslösen, die zu einem Anstieg an "natürlichen Schmerzhemmern", so genannten Enkephalinen führt.

Diese zählen zu den Opiatpeptiden und üben im Zentralnervensystem eine Morphin-ähnliche Wirkung aus: Sie hemmen die Weiterleitung von Schmerzimpulsen.

Übertragbar auf den Menschen?


Die Ergebnisse der Studie sind natürlich nicht einfach auf den Menschen übertragbar. Schließlich wurden Vögel untersucht und zudem werden beim Homo sapiens männliche Konkurrenzkämpfe auch nicht unbedingt im Rahmen von handgreiflichen Auseinandersetzungen ausgetragen.

Doch, wie der Schmerzforscher Roger Fillingim von der University of Florida in "Nature Science Update" zitiert wird: "Ich bezweifle nicht, dass es irgendeine Art von Wirkung von Testosteron auf die Schmerzempfindlichkeit beim Menschen geben könnte."


Quelle: Ansehen ?