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12.01.2008, 19:13 #1
Versorgungslage in der DDR - Mythen und Realität
Gerade hatten wir in der Chatbox einen regen Austausch zur Versorgungslage in der DDR, die die meisten User hier entweder von Alters wegen, oder weil sie in den alten Ländern aufgewachsen sind, nicht kennengelernt haben. Ich versuche mal so nach und nach hier was zu Eurem Verständnis zu schreiben.
Richard fragte mich, ob ich noch Essenmarken kennengelernt habe, womit er die nach dem Krieg üblichen Lebensmittelkarten meint. Diese wurden in der DDR im Jahre 1958 abgeschafft, da sich bis dahin die Versorgungslage bei Grundnahrungsmitteln weitgehend stabilisiert hatte. Trotzdem mangelte es an vielen Waren, auch im Lebensmittelbereich.
Nach einer Phase in der sich die Versorgungslage in der DDR etwas entspannt hatte, das war die Zeit der späten 1960er bis in die 1970er Jahre hinein, verschlechterte sich das Angebot in den staatlichen Läden zusehens. Gründe dafür waren die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Wirtschaft am internationalen Markt, die Rohstoffknappheit des Landes, die durch das sozialistische System der Staatlichen Planwirtschaft zwangsverordnete Produktion, die den Betrieben vorschrieb was sie in welcher Menge und in welcher Form zu produzieren hatten, gleichzeitig wurden die Preise staatlich verordnet (ein bestimmter Pullover kostete überall in der DDR exakt das selbe), und die Materialien und Maschinen die man zur Produktion benötigte gab es nur auf Zuteilung. Die Eingriffe des Staates in die Betriebe gingen so weit, daß beispielsweise ein Sprengstoffwerk nebenher Fliegenklatschen aus Kunststoff herstellen mußte, oder eine Schiffswerft Dosenöffner.
Ein weiterer Grund, wahrscheinlich der schwerwiegendste war, daß nach sowjetischem Vorbild in den 1960er Jahren die Bauern "zwangskollektiviert" wurden, das heißt die vormals privaten Bauernhöfe wurden de facto enteignet und zu Genossenschaften (LPG) zusammengeschlossen. Die Bauern waren dann nicht mehr selbständige Unternehmer, sondern Angestellte der Genossenschaften, ihr Land, ihr Vieh, ihre Wälder, Landtechnik, Futtermittel, alles wurde in die Genossenschaften überführt. Obendrein mußten die Bauern neben dem riesigen Verlust an Sachwerten einen sogenannten "Inventarbeitrag" an die Genossenschaft zahlen, das war ein hoher Geldbetrag, der quasi als Startkapital für die Genossenschaften diente. Je mehr Sachwerte und Land ein Bauer einbrachte, um so höher fiel der ihm abgepreßte Inventarbeitrag aus. Meine Großeltern besaßen eine Großbauernwirtschaft, sie mußten 20.000 Ostmark Inventarbeitrag zahlen, zum Vergleich: ein Angestellter der neuen Genossenschaft bekam bei einer 6 Tage-Arbeitswoche in dieser Zeit ca. 400 Ostmark monatlichen Lohn.
Anfang der 1970er Jahre wiederholte sich das Spiel bei den vormals privaten Industrie- und Handwerksbetrieben, diese wurden entweder zu Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) oder zu Volkseigenen Betrieben (VEB) umgewandelt.
Sämtliche diese Umwandlungen erfolgten zwangsweise, wer nicht "freiwillig" mitmachte wurde inhaftiert und trotzdem enteignet, dann sogar inklusive seines Hauses. Daß solches Vorgehen nicht eben die Arbeitsbereitschaft förderte, liegt auf der Hand. Man arbeitete nicht mehr für seinen eigenen Erfolg, sondern auf Kommando von "oben", jegliche Innovationen oder Initiativen wurden so im Keime erstickt. Die Leitung der Unternehmen lag nicht mehr in den Händen erfahrener und kompetenter Leute, sondern wurde Personen zugeschanzt die das richtige Parteibuch hatten.
Außer der Braunkohle, Salzvorkommen und dem Uran verfügte die DDR über keinerlei Rohstoffvorkommen, das Uran wurde jedoch von der Sowjetunion sofort für ihre Zwecke vereinnahmt (Atomwaffen und AKWs). Hinzu kam, daß die DDR anders als die alte Bundesrepublik nicht vom Marshallplan profitierte, sondern vielmehr bis zu ihrem Ende fortgesetzten "Entnahmen" durch die Besatzungsmacht Sowjetunion ausgesetzt war. Diese Entnahmen betrafen die laufende Produktion an Nahrungs- und Industriegütern, und wissenschaftlich-technisches Know how sowie Fachkräfte.
Die gigantischen Reparationsforderungen der Sowjetunion gegen Gesamtdeutschland wurden ausschließlich von der DDR befriedigt, nach 1945 demontierte die Besatzungsmacht in Ostdeutschland Tausende Industriebetriebe komplett und verbrachte sie gen Sowjetunion. Ebenso wurden Tausende Züge der Reichsbahn nebst Gleisen beschlagnahmt, viele Bahnstrecken die ursprünglich mehrgleisig verliefen waren entweder verschwunden oder nur noch eingleisig. Die Sowjetunion brauchte mal wieder neue Züge? Kein Problem, man holte sie sich kurzerhand aus der DDR-Produktion, ohne Bezahlung versteht sich. Ebenso lief es mit Getreide und vielen anderen Dingen.
Die Sowjetunion hatte über 400.000 Soldaten in der DDR stationiert, die DDR mußte neben den Kosten ihrer eigenen Armee auch die Kosten dieser Besatzung aufbringen, die Russen versorgen, mit Nahrungsmitteln, Strom, Kohle und Wasser beliefern, alles zum Nulltarif. Daneben wurden auch noch "Besatzungskosten" in Rechnung gestellt, man mußte für die ungeliebten Besatzer auch noch löhnen.Geändert von robert234 (12.01.2008 um 19:23 Uhr)
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12.01.2008, 19:41 #2
Umso erstaunlicher dass sich viele DDR-Nostalgiker die Mauer zurückwünschen und sich in ihrer Argumentation auf dem Zusammenhalt und die Arbeitslosenzahlen berufen. Ansehen ?
Da ich erst 22 bin und im tiefsten Westen aufgewachsen bin vergesse ich und meine Generation leicht wie schön die Demokratie doch ist und sind dementsprechend politisch desinteressiert. Ansehen ?
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12.01.2008, 20:48 #3
1/3 aller Ostdeutschen Jugendlichen an Gesamtschulen vertreten die Meinung der Westen hätte die Mauer gebaut. Ansehen ?
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12.01.2008, 20:49 #4
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12.01.2008, 21:11 #5Umso erstaunlicher dass sich viele DDR-Nostalgiker die Mauer zurückwünschen
1/3 aller Ostdeutschen Jugendlichen an Gesamtschulen vertreten die Meinung der Westen hätte die Mauer gebaut.
Das ist das tolle Bildungssystem der Bundesrepublik, in der DDR wußte jeder, daß es "unsere" Mauer ist.
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12.01.2008, 22:03 #6
Nachdem ich im Einleitungspost die Ursachen der schlechten Versorgungslage grob umrissen habe, werdet Ihr unschwer erkennen, warum es schwierig war bedarfsdeckend zu produzieren. Das Gebiet der späteren DDR war zu Reichszeiten von wenigen Kernen hauptsächlich in Sachsen und Groß-Berlin abgesehen, nie derart industrialisiert wie etwa das Ruhrgebiet. Nun stellt Euch diese Ausgangssituation vor, dazu die enormen Zerstörungen in der Endphase des Krieges, und anschließend die groß angelegten Demontagen im Zuge der Kriegsreparationen an die Sowjetunion. Für die Produktion vieler Industriegüter gab es im Gebiet der DDR keine Fabriken, sie mußten erst mühsam geschaffen werden. Und aus dem was diese Fabriken dann herstellten, hat sich eine Besatzungsmacht freudig bedient, Produktionsausstoß und verfügbare Ware waren also nicht identisch.
Wegen der schon erwähnten Rohstoffknappheit auf dem Gebiet der DDR waren Importe notwendig, die oftmals Devisen erforderten, an denen es ebenfalls chronisch mangelte. Die DDR-Mark war eine reine Binnenwährung, und nicht konvertierbar. So wurde die DDR einer der größten Zulieferer für westdeutsche Versandhäuser und Handelsketten, wenn es um Textilien, Nähmaschinen oder Handwerkszeug ging. Dennoch reichten diese Einnahmen an Devisen nicht aus, so daß man sich andere Einnahmequellen erschloß. Dazu zählten die Transitgebühren die Westdeutschland an die DDR zahlte, später der "Zwangsumtausch" für westdeutsche Besucher, die sogenannten "Intershops", das waren Läden die Westwaren für Westgeld verkauften, der Gewinn (Handelsspanne) floß dem DDR-Staatshaushalt zu.
Dann gab es "Genex", eine Vertriebsorganisation für PKWs, wo die Tante im Westen mit DM ein Auto kaufen konnte, das dann der Neffe in der DDR bekam. Auch hier wieder floß die Handelsspanne an die DDR. Sogar für Fertighäuser gab es sowas, die sogenannten "Neckermann-Häuser" wurden im Westen bezahlt und im Osten errichtet.
Über eine Handelorganisation namens "Antikhandel Pirna" wurden in der DDR in großem Stil antike Möbel, Teppiche, Kunstwerke und Uhren für DDR-Mark aufgekauft, und in der BRD gegen DM wieder verkauft.
Das alles hat aber nicht gereicht den Devisenbedarf halbwegs zu decken, und so wurde versucht alles selbst zu fertigen und Güter die nicht überlebenswichtig waren blieben außen vor. Deshalb gab es in der DDR auch lediglich um Weihnachten herum mal kleine Mengen an Südfrüchten, denn die kosteten Devisen. Guter Kakao war nicht erhältlich, das was es als "Kakao" gab bestand aus minderwertigen Bestandteilen der Kakaobohnen, die man im Ausland fast geschenkt bekam. In jedes gute "Westpaket" gehörte daher neben Kaffee auch Kakao, der dann meist für besondere Anlässe aufgespart wurde.
Ein weiteres Hemmnis waren umfängliche Wirtschaftsembargos des Westens gegen den Ostblock, auch Sachen aus dem Bereich der Elektronik (auch Kopierer, PCs, Maschinensteuerungen) waren davon betroffen.
Ich habe 1987 in einem DDR-Betrieb in den Ferien gearbeitet, es war ein großer Tischlereibetrieb. Der Maschinenpark bestand größtenteils aus Uraltgeräten, die noch vor dem Kriege in Dienst gestellt worden waren. Für diese Maschinen gab es keine Ersatzteile mehr, also unterhielt man eine eigene Schlosserei und Dreherei, die dann umständlich von Hand benötigte Teile fertigte und einbaute. Die Ausfallzeiten bei der Technik waren enorm, die Produktivität entsprechend niedrig. Der gesamte Betrieb glich einem Museum, war aber ungleich schlechter in Schuß. Die Arbeitsbedingungen waren katastrophal, Zugluft in den Hallen, schlechte Beheizung, ein Höllenlärm, und die Luft war eine einzige Wolke aus Holzstaub und Spänen. Es gab weder Duschen noch Umkleidemöglichkeiten, man verließ den Betrieb nach Feierabend wie eine Sau. Ein Facharbeiter bekam dort ca. 530 Ostmark netto, bei 43,75 Wochenstunden und Sollübererfüllung.Geändert von robert234 (12.01.2008 um 22:05 Uhr)
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12.01.2008, 22:23 #7
Robert, ich arbeite in den Ferien im Furnierwerk hier in Winsen, die Maschinen haben dauernd irgentwelche Macken, und das obwohl sie stets auf dem neustem Stand sind. Ich kann mir einen Betrieb mit uralt-Maschinen ohne funktionierendes Ersatzteillager gar nicht vorstellen...
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12.01.2008, 22:35 #8
Ein weiterer Grund warum viele Waren knapp waren lag in der verständlichen Reaktion der Menschen auf diese Knappheit. Nehmen wir ein Beispiel, man brauchte drei Handtücher, Handtücher und Bettwäsche gab es in meinem damaligen Heimatort wenn überhaupt dann nur montags, aber auch das nur sporadisch. Fest stand nur daß es montags war, weil am Montag die Ware kam. Nachdem man ein Vierteljahr vergeblich Montag für Montag ins Kaufhaus getrabt ist, gab es endlich die ersehnten Handtücher. Nur konnte man da nicht einfach an ein Regal gehen und sich welche nehmen, sondern an einem großen Tisch wartete eine Menschenschlange auf die Zuteilung der seltenen Ware. Tja und wenn man nach 40 min schließlich an der Reihe war, und sogar noch Handtücher vorhanden waren, dann hieß es: jeder Kunde nur 2 Stück! Man brauchte aber 3 Stück, also lief man weiterhin jeden Montag zum Kaufhaus, und schaute ob es wieder mal Handtücher gibt. War das nach einigen Wochen dann endlich der Fall, dann kaufte man natürlich nicht nur das noch fehlende eine Handtuch, sondern die maximal möglichen zwei. Und kam man mal wieder hinzu wenn es Handtücher gab, dann stellte man sich selbstverständlich sofort wieder an, und bunkerte die guten Stücke. Letztlich beugte man mit seiner privaten Vorratswirtschaft also dem möglichen Fehlen von Handtüchern zu späteren Zeiten vorausschauend vor, und weil das so ziemlich jeder gemacht hat lag der Abkauf über dem Angebot. Auch bei Bettwäsche und vielen anderen selbstverständlichen Alltagsdingen war das ganz genauso, wer einen eigenen Hausstand zu gründen beabsichtigte kam nicht umhin genau das zu machen. Spontan ein Handtuch zu kaufen war nämlich nicht möglich.
Geändert von robert234 (12.01.2008 um 22:37 Uhr)
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13.01.2008, 00:07 #9
Hast dir richtig Mühe gegeben, Robert. War mal interessant zu lesen, vor allem weil ich die DDR gar nicht miterlebt habe. Das war ja kurz vor meiner Zeit.
Hab hier noch was interessantes gefunden: (Quelle: Wikipedia)
Der Bau, ständige Ausbau und die jahrzehntelange Unterhaltung der schwer bewachten Grenze in Deutschland war eine große wirtschaftliche Belastung für die DDR. Baumaterial und etwa 40.000 Mann Grenztruppen – Arbeitskräfte, die keine volkswirtschaftlich produktive Arbeit leisten konnten – wurden dafür gebunden. Von 1961 bis 1964 kostete der Aufbau und Betrieb der Grenze insgesamt 1,822 Milliarden Mark der DDR, davon entfielen 400 Millionen Mark auf die Berliner Mauer. Die laufenden Kosten wurden insgesamt auf jährlich etwa 500 Millionen Mark geschätzt. Dazu kamen die dem MfS unterstehenden [2] Passkontrolleinheiten (PKE) mit etwa 38 Millionen Mark jährlich.
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13.01.2008, 00:11 #10
@Richard: Ich setze das noch fort, da fehlt noch so einiges. Mehr in den Beiträgen 8.397 bis 15.462. Ansehen ?
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18.01.2008, 12:11 #11
Ich bin mal 1969 mit der Schulklasse in Berlin gewesen. Wir sind in Berlin mit der U-Bahn
gefahren. Die Bahn fuhr durch Teile Ostberlins. An den Bahnhöfen fuhr der Zug langsamer und man konnte bewaffnete Soldaten sehen, die den Bahnhof bewachten. Ein- oder Aussteigen war an den Bahnhöfen im Ostteil der Stadt natürlich nicht möglich.
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18.01.2008, 12:55 #12
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18.01.2008, 13:31 #13
die älteren ungarischen Kollegen plappern auch noch desöfteren über den Kommunismus. Bei denen wars zwar nicht so extrem wie in der DDR, aber sie wurden vom Kommu-Regime auch ordentlich verarscht und ausgenommen.
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18.01.2008, 15:55 #14
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