"Erfahrung und eine gute Taktik sind mehr Wert als ein paar Kilo"

Las Vegas - Auch ein 21 Pfund schwererer "Bodybuilder" soll für Wladimir Klitschko nur ein Appetithappen auf dem Wege zum endgültigen Durchbruch im Box-Mekka USA sein. "Erfahrung und eine gute Taktik sind mehr Wert als ein paar Kilo. Am Sonntagmorgen wird der Weltmeister immer noch Klitschko heißen", sagte der 26 Jahre alte Wahl-Hamburger, der in der Nacht zuvor in Las Vegas (Sonntag ab 3.50 Uhr MEZ live im ZDF) gegen den Amerikaner Jameel "Big Time" McCline seinen WM-Titel des Weltverbandes WBO verteidigen will.

Mit einem überzeugenden Sieg würde sich der "kleine" Klitschko nach Meinung seines Promoters Klaus-Peter Kohl endgültig im Kreis der vier besten Schwergewichtler der Welt etablieren: "Wladimir ist die Zukunft des Boxens. Allein von den körperlichen Voraussetzungen können ihm nur noch Lennox Lewis, McCline und sein Bruder Witali das Wasser reichen."

Es kommt nicht oft vor, dass die Klitschkos im Ring einem körperlich überlegenen Gegner Paroli bieten müssen. Als sich Wladimir (40 Kämpfe, 39 Siege/36 KO’s) am Donnerstag beim Wiegen zum obligatorischen Muskel-Spiel neben seinem Herausforderer postierte, musste der Ukrainer deshalb auch erst einmal kräftig schlucken. Der sieben Jahre ältere McCline, dessen Oberkörper an die guten Zeiten von Arnold Schwarzenegger erinnert, brachte satte 119,5 Kilo auf die Waage und lag damit sogar noch etwas über den kühnsten Erwartungen.
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Doch nach einer Schrecksekunde hatte sich "Dr. Steelhammer" schnell wieder gefasst: "Bis auf einen Glücksschlag Jameels dürfte eigentlich nichts passieren. Ich bin darauf trainiert, schwerere Gegner nicht zum Schlag kommen zu lassen." Besonders den rechten Cross des für seine Größe ungemein schnellen McCline (28 Siege/16 KOs, drei Niederlagen, zwei Remis) hatten Klitschko und sein Coach Fritz Sdunek nach Auswertung des Videomaterials als ernst zu nehmende Bedrohung erkannt, Letzterer strahlte dennoch Optimismus aus: "Wir kennen auch seine Schwächen und wollen diese ausnutzen. Natürlich ist Wladimir auf zwölf Runden vorbereitet, doch es würde mich nicht wundern, wenn es eine kürzere Angelegenheit wird."

Ironischerweise ist es Klitschko, der dem vorbestraften McCline - als 18-jähriger wurde er wegen Waffenhandels zu einer Gefängnisstrafe verurteilt - bei dessen Streben nach dem perfekten Body Modell stand. "Als ich Wladimir vor zwei Jahren im Fernsehen kämpfen sah, sagte ich zu meiner Frau: genau so will ich irgendwann auch einmal aussehen. Ich habe geschuftet wie ein Verrückter. Deshalb verdiene ich es, am Samstag die Früchte meiner Arbeit zu ernten." 1,1 Millionen Dollar sind die bislang höchste Börse seiner Karriere.

Einen Prestigeerfolg konnten beide Boxer schon vor dem Gong zur ersten Runde verbuchen. Entgegen früherer Planungen wird das Duell der Zwei-Meter-Männer im Anschluss an den eigentlich als Hauptkampf vermarkteten Leichtgewichts-WM-Showdown zwischen Floyd Mayweather (USA) und Jose Luis Castillo (Mexiko) stattfinden. Dass sich auf diese Weise die PR-Maschinerie der letzten Tage auszahlte, hatte allerdings nichts mit dem beim Boxen üblichen verbalen Schlagabtausch der Hauptdarsteller zu tun.

McCline und Klitschko gingen beinahe freundschaftlich miteinander um, so blieb es dem wie immer als Berater anwesenden Witali vorbehalten, für das einzige Highlight eines ansonsten unspektakulären Wiegens zu sorgen. Die Frage nach dem Ausgang des Kampfes beantwortete er mit einem mitleidsvollen Seitenblick auf Jameel McCline: "Pass auf Dich auf, Junge."
Quelle: Stuttgarter Nachrichten 7.12-02