Testoseron, das männlichste aller Hormone, schwächt das Immunsystem und
beschleunigt das Altern. Mediziner haben längst erkannt:
Die eigentlich so starken Kerle sind meist alles andere als unverwüstlich.

Von SABINE WERZ
DÜSSELDORF. Wann ist ein Mann ein Mann? Hollywood weiß die Anrwort: Ein
echter Kerl ist unverwüstlich wie John Wayne, der einen Indianerpfeil aus
seinem Arm zerrt und weiterkämpft oder hart wie Terminator Schwarzenegger,
der Patronen an seiner Brust abprallen lässt. Okay, das sind Leinwandlegenden,
aber auch im wahren Leben hält sich das Gerücht, Männer seinen das
schmerzresistente und stahlnervige, kurzum das starkte Geschlecht.
Frauen wissen es besser und machen gerne Witze über die notorische
Wehleidigkeit ihrer besseren Hälfte im kleinsten Krankheitsfall. Etwa diesen:
"Männer haben nie Schnupfen, sondern eine Virusgrippe, nie Kopfschmerzen,
sondern einen Gehirntumor."
Eine Hustenmittel-Werbung hat solch einen verschnupften Softie mit
Jammerdiplom im TV unsterblich gemacht. Slogan: "Olaf hat Husten" -und sieht
in lappigem Bademantel so sterbenselend aus wie sein Husten, Krächzen und
Leiden sich anhören. Bis Mama - pardon die Ehefrau - das rettende Medikament
verabreicht und Olaf selig wie das Baby einschläft, das er erfolgreich mimt.
Wer hat nun Recht? Hollywood oder die Werbung? Im Falle von Schmerzen beide.
Zum einen, so stellte die Deutsche Schmerzliga fest, sind Männer dank
Testosteron schmerzunempfindlicher als Frauen. Weibliche Östrogene aber
steigern die Aktivität des Nervensystems und damit die Weiterleitung von
Schmerzimpulsen.
Andererseits sind Frauen weniger wehleidig. "Sie sind von ihrer biologischen
Anlage her von Jugend an mit Regelleiden und Geburtswehen behaftet, wodurch sie
lernen, mit Schmerzen umzugehen", erklärt der Frankfurter Schmerzarzt Thomas
Flöter. Der Lernerfolg: Frauen gehen bei ersten Anzeichen von Unwohlsein zum
Arzt, können Symtome genauer beschreiben, haben so bessere Behandlungs-Chancen
und leben gesundheitsbewusster.
Der echte Adam hingegen übertreibt zwar daheim einen Schnupfen, wenn er mit
weiblicher Fürsorge und schneller Abhilfe rechnen kann. Über ernsthafte
Beschwerden hingegen schweigt er sich aus - vor allem in Job oder beim Arzt. Der
John Wayne in ihm verbietet es, Schwächen zuzugeben, wenn sie mit Kontrollverlust
verbunden sind.
Flöter: "Deshalb wird gewartet und verdrängt, bis es wirklich nicht mehr geht"
- und richtig weh tut. 70 Prozent aller Männer fürchten sich so vor dem Zahnarzt,
dass sie erst dann hingehen, wenn die notwendige Behandlung hochgradig unangenehm
ist. Noch gefährlicher: Sie ignorieren Hinweise auf lebensbedrohliche Krankheiten.
Zwölffingerdarm-Geschwüre, Lungenkrebs und Diabetes sind unter Männern wesentlich
häufiger verbreitet als unter Frauen. Jeder zweite Mann bekommt Krebs, aber nur
jede dritte Frau!
Zum einen sind daran falsche Heldenbilder, ungesunde Verdrängung, die männlche
Arztphobie und der Mangel an Vorsorge schuld, zum anderenaber auch die Biologie und
das männlichste aller Hormone.Testosteron fördert zwar die Muskelbildung, schwächt
aber die Widerstandskraft des Immunsystems und beschleunigt das Altern. So haben
Eunuchen eine viel höhere Lebenserwartung als andere Männer und Frauen bekanntlich
die höchste. Zur Zeit überleben sie das starke Geschlecht hierzulande um sieben
Jahre.
Nicht erst im letzten Lebensdrittel sichert Weiblichkeit bessere Überlebenschancen,
sondern bereits vor der Geburt. Bei der Befruchtung gewinnen häufiger die Spermien
mit X-Chromosomen, dem weiblichen genetischen Code, den Wettkampf ums Leben. Die
Y-Spermien sind zwar schneller, dafür aber empfindlicher. Hat die mögliche Mutter in
der Empfangsphase Stress, sterben sie sofort ad. Diese Empfindlichkeit begleitet Männer
von der Wiege bis zur Bahre.
Ein XY-Keimling ist anfälliger für Erbkrankheiten, der männliche Fötus stärker
gefährdet, an einer vorgeburtlichen Krankheit zugrunde zu gehen. Auf rund 100 Mädchen
werden über 120 Jungen gezeugt, doch das Licht der Welt erblicken nur 105 Jungen auf
100 Mädchen. Im späteren Leben gefährdet die hohe Produktion von Stresshormonen kleine
und große Helden. Diese Stressfälligkeit ist ein Relikt aus der Urzeit. Im Kampf mit
Mammuts oder Höhlenbären spornten die Hormone den Jäger zu Höchstleistungen an. Heute
sind sie kräftezehrende Krankmacher.

Aggression im Supermarkt

Schon beim Schlangestehen an der Supermarktkasse schaltet der männliche Hormonhaushalt
auf Alarm und polt alle Körperfunktionen auf Kampfhandlungeen. Leider stehen an
Supermarkkassen keine Mammuts an, um Aggressionen abzubauen. Folge ist eine Anfälligkeit für
Herzkrankheiten.
Molekularbiologe jens Reich fasst die bedrückenden Erkenntnisse über die angeborene Schwäche
des männlichenGeschlechtes so zusammen: "Ein Mann zu sein, ist der höchste genetische Defekt
der Natur."
Fatal ist es, wenn dieser Defekt durch traditionelles Rollenverhalten noch verstärkt wird. Der
Bielefelder Soziologe Klaus Hurrelmann beklagt, dass Männer bis zur Selbstzerstörung am Mythos
der Unverwundbarkeit festhalten, daher auch viel höhere Risiken bei Sport oder im Verkehr auf
sich nehmen und entsprechend oft verunglücken. Der Soziologe empfiehlt ein grundsätzliches
Umdenken, da eine Erziehung nach dem Motto "Ein Indianer kennt keinen Schmerz" nachgrade
eine Aufforderung zum Selbstmord auf Raten ist.
Fazit: Männer sind das schwächere Geschlecht - mehr Gleichberechtigung in Sachen
Körperbewusstsein, Selbstausdruck und Gefühlsstärke ist für sie lebensnotwendig.

Quelle: Rheinische Post