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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Die DDR: Hintergründe und Infos zum damaligen Unrechtsstaat



SuperVegeta
14.04.2021, 01:36
Hallo,

in diesem Thread soll alles rund um die damalige DDR besprochen werden. Fragen, die man sich vielleicht schon immer mal gestellt hat oder auch einfach Anekdoten und Geschichten aus dieser Zeit.

Ich fange mal mit einer etwas allgemeineren Frage an:

Wie kam es denn dazu, dass in der DDR Waren so schlecht verfügbar waren und man ewige Wartezeiten auf so viele Produkte hatte?

War das staatlich gesteuert? Wollte man das so? Oder lag es daran, dass einfach keine offene Marktwirtschaft bzw. kein offener Handel mit anderen Ländern stattfand?

robert234
14.04.2021, 13:59
Wie kam es denn dazu, dass in der DDR Waren so schlecht verfügbar waren und man ewige Wartezeiten auf so viele Produkte hatte?
Der geradezu legendäre Mangel in der DDR hatte ein Koglomerat von Ursachen, da muß ich ein wenig ausholen:

1945, mit dem Ende des II.WK wurde Rest-Deutschland zwischen den Siegermächten in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die spätere DDR ging aus der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) hervor, die spätere BRD (alt) aus den Zonen der westlichen Besatzungsmächte. Faktisch gab es so zwar zwei deutsche Staaten, jedoch mit völlig verschiedenen wirtschaftlichen Voraussetzungen. Das möchte ich nachfolgend näher darlegen.

Stand 1950 hatte die DDR knapp 19 Mio Einwohner, die BRD (alt) knapp 69 Mio Einwohner, somit lebten in der DDR zu jener Zeit nur 21,6% der Gesamtbevölkerung bezogen auf das Gebiet von DDR + BRD (Restdeutschland ab 1945). Es wird nicht allzusehr überraschen, wenn derjenige beider deutscher Staaten, der nur gut ein Fünftel der deutschen Gesamteinwohner hat, eine deutlich schlechtere Wirtschaftsleistung aufweist. Das Arbeits- und Fachkräfteproblem in der DDR verschärfte sich während des Bestehens der deutschen Teilung sukzessive, zum Einen haben die Sowjets nach 1945 massiv in der SBZ lebende Fachkräfte in die Sowjetunion verschleppt, zum Anderen wanderten vor allem bis zum Mauerbau am 13. August 1961 massiv Fachkräfte in die BRD ab. Zwischen 1950 und 1989 verlor die DDR gut 10% ihrer Bevölkerung, während die Bevölkerung der BRD (alt) stetig zugenommen hat, auch durch Zuwanderungsströme wie z. B. Gastarbeiter aus der Türkei, Italien usw..

Zu bedenken ist weiterhin, daß das Gebiet der SBZ vor 1945 bis auf wenige Ausnahmen eher landwirtschaftlich denn industriell geprägt war, Ausnahmen waren die optische Industrie in Jena (Carl Zeiss Jena) und in Dresden (Fotoapparatehersteller Pentacon) sowie das Chemiedreieck in Sachsen-Anhalt (Buna etc.). Schwerpunkt der deutschen Industrie vor 1945 waren das Ruhrgebiet und Schlesien (heute zu Polen). Keiner dieser beiden Schwerpunkte fiel an die spätere DDR. Mit dieser bereits sehr unterschiedlichen Ausgangslage war es aber nicht getan, Deutschland hatte den II. WK verloren und anders als nach früheren Kriegen wurden diesmal Reparationen nicht durch Geldzahlungen geleistet, sondern aufgrund der Vereinbarung der Siegermächte durch "Entnahmen" aus den jeweiligen Besatzungszonen.

Diese "Entnahmen" bestanden in einem Abbau ganzer Industrieanlagen und deren Verbringung in das Land der jeweiligen Siegermacht, als am stärksten vom Krieg zerstörtes Land beanspruchte die Sowjetunion den Löwenanteil, dieser war derart groß, daß die Westmächte anfangs der SU sogar zugestanden, ergänzend zur SBZ selbst in den westlichen Besatzungszonen zu plündern. Das währte aber nur wenige Monate, dann begann der Kalte Krieg und die Westmächte ließen weitere Eingriffe der SU in ihren Besatzungszonen nicht mehr zu. Im Ergebnis der Entnahmen als Reparationsleistung wurden in der SBZ rund 35% (!) der Industriekapazität beseitigt und in die SU verschafft, in den westlichen Besatzungszonen gingen durch Reparationen lediglich 3% der Industriekapazität verloren, weil die Westallierten das sehr früh stoppten. Etwa 48% des ostdeutschen Schienennetzes gingen reparationsbedingt bis 1953 verloren und konnten weit überwiegend nie mehr wiederhergestellt werden. Zwischen 1945 und 1953 betrugen die Reparationsleistungen Ostdeutschlands 99,1 Mrd. DM gegenüber nur 2,1 Mrd. DM Reparationsleistungen Westdeutschlands, damit betrug die Reparationsleistung der SBZ pro Kopf das 130-fache der Belastung der Westzonen pro Kopf bzw. 97 bis 98% der Reparationsleistungen Gesamtdeutschlands zwischen 1945 und 1953.

Zudem erhielt Westdeutschland aus dem sog. Marshallplan (ERP) eine Wirtschaftshilfe in einer Größenordnung von rund 130 Mrd. USD nach heutigem Wert, während Ostdeutschland keinerlei Unterstützung bezog.

Die DDR verfügte auf ihrem Gebiet abgesehen von Braunkohle, Steinsalz und Uran über keine Bodenschätze in relevanter Menge. Das Uran vereinnahmte zu 100% die SU für ihre atomare Aufrüstung, davon hatte die DDR nichts. Die DDR war auf den Import nahezu sämtlicher Rohstoffe angewiesen, besaß zugleich aber keine konvertierbare harte Währung. Die Mark der DDR war eine reine Binnenwährung, die man weder in Gold noch in USD oder DM umtauschen konnte. Entsprechend ergab sich eine extreme Abhängigkeit der DDR von Tauschgeschäften mit der SU und anderen Ländern des Ostblocks, bei denen die Rohstofflieferanten sich ihrer Macht durchaus bewußt waren. Um Erdöl, Stahl, Aluminium oder Steinkohle zu bekommen, mußte die DDR Industriewaren als Bezahlung liefern. Da nun aber wie schon erläutert die Industriekapazitäten gering waren, fehlten die exportierten Waren logischerweise dem heimischen Markt.

Neben den Reparationen lasteten der wirtschaftlich schwachen DDR aber auch immense Ausgaben für ihre Verteidigung, Besatzungskosten (Rote Armee), die Errichtung und Unterhaltung der Grenzsicherungsanlagen und die umfänglichen "bewaffneten Organe" an. Welche Waffensysteme in welcher Menge die DDR zu besitzen hatte, bestimmte Moskau. Die Grenzsicherungsanlagen der DDR gegen die BRD kosteten allein in den ersten drei Jahren ab 1961 über 1,8 Mrd. DDR-Mark, die jährlichen laufenden Kosten betrugen über 500 Mio DDR-Mark. Das komplexe System der Stasi band allein an hauptamtlichen Mitarbeitern 250.000 (!) Arbeitskräfte. Auf Anweisung der SU mußte die DDR als Frontstaat des Warschauer Vertrages ab den 1970er Jahren massiv aufrüsten und ein gewaltiges Bunkerbauprogramm verwirklichen, die finanziellen und wirtschaftlichen Belastungen waren im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung extrem.

Die Wirtschaft der DDR folgte dem Vorbild der SU, 1945 waren in der SBZ sämtliche landwirtschaftliche Güter von Junkern und mutmaßlichen oder wirklichen Kriegsverbrechern oder Nazis durchweg enteignet worden. Jedoch wurden im Zuge der sogenannten Bodenreform auch sämtliche Bauernhöfe einer Größe ab 100 ha enteignet und zu Stücken von 5 bis 6 ha an "Neubauern" verteilt. "Neubauern" waren in der Regel frühere Landarbeiter und Knechte der Großbauern, oft aber auch Flüchtlinge aus den einstigen Ostgebieten, die von Landwirtschaft keine Ahnung hatten. Ende der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre erfolgte dann die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in der DDR, alle die zu dieser Zeit noch ihren Bauernhof besaßen oder Neubauern waren, wurden gezwungen ihre Ländereien, Tierbestände, Landmaschinen usw. in staatliche Landwirtschaftsgenossenschaften (LPG) einzubringen und dort dann als Angestellte auf ihren einst eigenen Äckern zu arbeiten. Das hat natürlich die Arbeitsmoral nicht eben gehoben und die Leitung dieser Unternehmen hatten oft Leute mit dem richtigen Parteibuch, nicht aber Leute mit Ahnung von der Landwirtschaft. Das Ergebnis war absehbar und so verschlechterte sich ab dieser Zäsur die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln immer mehr.

Um 1970 herum wurden dann auch die Handwerks- und Industriebetriebe die bislang noch private Eigentümer hatten zwangsweise zu Genossenschaften (PGH) oder volkseigenen Betrieben (VEB) umgewandelt. Auch hier übernahmen fortan Leute das Ruder, die dem roten Machtapparat nahestanden. Oft wurden so ehemalige Offiziere der Nationalen Volksarmee nach ihren 25 Jahren Waffendienst als Betriebsleiter eingesetzt, damit sie versorgt waren. Nur hatten diese null Ahnung von Betriebswirtschaft und auch null Fachkenntnisse über das was der Betrieb machte, gleichwohl waren sie befehlsgewohnt und lebten das aus.

Der Mangel an Investitionsmitteln, Rohstoffen, Materialien, Ersatzteilen bestimmte die Volkswirtschaft der DDR immer mehr. Praktisch alle Betriebe mußten sich umfangreiche Reparaturtrupps aufbauen, um uralte Maschinen und Fahrzeuge wieder und wieder zurechtzuflicken. Ich kannte eine große staatliche Tischlerei, in der wurden Mitte der 1980er Jahre noch Maschinen aus den 1930er Jahren benutzt, mit entsprechender Reparaturanfälligkeit. Ersatzteile dafür gab es längst keine mehr, also mußte man improvisieren und Ersatzteile selbst anfertigen, in Einzelfertigung. Die LKW waren 30 Jahre und älter, praktisch schrottreif. Die Arbeitshallen kaum beheizbar und marode. Werkzeug Mangelware. Die produzierten Güter wurden schon in der Fertigung sortiert in zwei Gruppen, was qualitativ einwandfrei war, ging in den Export in die BRD, um Devisen zu beschaffen, der Rest mit Mängeln war "Bevölkerungsbedarf".

Durchweg für die Wirtschaft der DDR läßt sich sagen, daß alles auf Verschleiß gefahren wurde und nach einem Aufschwung zwischen 1945 und etwa 1970 danach unaufhaltsam der Niedergang stattfand. Endgültig das Genick brach der DDR dann der Katastrophenwinter 1978/1979, der Milliardenschäden für die DDR Volkswirtschaft verursacht hat, von denen sich das Land nie mehr erholte.

Aus dieser Summe von ungünstigen Faktoren ergab sich naturgemäß eine schlechte Arbeitsproduktivität, ein hoher Abfluß an gefertigten Gütern für Tauschgeschäfte zum Beziehen von Rohstoffen und zugleich extreme Kosten durch bewaffnete Organe/Aufrüstung/Bespitzelung/Grenzsicherungsregime, die weltweit in dieser Form wohl einmalig waren. Die Reparationsleistungen der SBZ waren die höchsten des 20. Jahrhunderts und das bei so wenigen Einwohnern. Einen offenen Handel gab es nicht, im Ostblock herrschte ein von der SU dominiertes Binnensystem, das keinen Bezug zum Weltmarkt hatte. Innovationen wurden von der SED selten zugelassen, bekanntes Beispiel sind die beiden einzigen PKW-Marken der DDR, Wartburg und Trabant.

Ende der 1980er Jahre betrugen die Wartezeiten auf einen Trabant etwa 12 bis 14 Jahre, auf einen Lada mindestens 16 Jahre. Wer sich selbst ein Haus bauen wollte, mußte viele Leute sehr gut kennen, denn praktisch nichts konnte man einfach mal so kaufen. Keine Bretter, keinen Zement, keine Fenster ..., alles war staatlich verplant und wurde zugeteilt, wobei Zuteilung dann Sachzwängen folgte. Die Bunker waren von der SU befohlen, um die kam man nicht herum, also Zement zuerst dorthin, nicht in das Einfamilienhaus von Hartmut Müller.

Aus diesen Widrigkeiten ergab sich aber auch eine hohe Kompetenz der DDR-Bürger, mit Mangel kreativ umzugehen und Probleme zu lösen. Das Improvisationsgeschick war immens, weil überlebensnotwendig. Unser Land wird voraussichtlich nie wieder in dieser Breite Menschen hervorbringen, die praktische Lösungen im Alltag finden. Oder, wie der gemeine Ossi so sagte: Wir nehmen das Wenige und machen das Beste daraus. Die Coronakrise hätte ein waschechter Ossi sicherlich besser gelöst, zumal bei den heutigen Möglichkeiten.

robert234
14.04.2021, 17:35
Um noch einige eigene praktische Erfahrungen zu dem Warenmangel an sich beizusteuern:

Es war im Kaufhaus meiner Heimatstadt nicht möglich, da spontan Handtücher oder Bettwäsche zu kaufen, vielmehr wußte der erfahrene Kunde, an welchem Wochentag die Textilabteilung des Kaufhauses Ware bekommt. Das war hier immer montags, ab etwa 15 Uhr begann dann der Verkauf dieser begehrten Artikel, sofern sie in der betreffenden Woche überhaupt geliefert worden waren, was nur aller vier bis sechs Wochen klappte. Man lief also Montag für Montag zum Kaufhaus, hatte aber nur selten Glück. Hatte man Glück, dann bekam man maximal 1x Bettwäsche und maximal 2 Handtücher zugeteilt. Da ich die Absicht hatte mal einen eigenen Haushalt zu gründen, wäre ich mit nur 2 Handtüchern nicht weit gekommen, also wurde es bei mir zur Routine, montags immer zum Kaufhaus zu traben und wenn möglich 2 Handtücher zu kaufen, für die man in der Regel dann aber ne halbe Stunde anstehen mußte.

Dann gab es in der DDR Farbfernseher für weit über 6.000 Ostmark, das entsprach ungefähr 10 kompletten Monatslöhnen eines Facharbeiters, daher konnte sich die Dinger kaum jemand leisten. Ab und an allerdings bekam der staatliche Rundfunkgeräteladen auch mal ein oder zwei Fernseher eines kleineren und nur 4.300 Ostmark teuren Modells, die heiß begeht waren. Diese wurden - wie die Handtücher - immer an einem ganz bestimmten Wochentag eventuell geliefert, das war in meiner Heimatstadt mittwochs. Der Laden öffnete um 9 Uhr, nachts gegen 4 Uhr bezogen die ersten Kunden mit Klappstühlen Stellung vor dem Geschäft, obwohl gar nicht sicher war, ob in dieser Woche überhaupt ein oder zwei Geräte geliefert werden.

Speiseeis wurde ebenfalls immer nur mittwochs geliefert, falls welches geliefert wurde. Daher hieß es für mich, direkt nach der Schule zur "Kaufhalle" gehen und gucken ob sie Eis haben. Am Donnerstag mußte ich am späten Nachmittag auch immer hin, denn an diesem Tag wurden Wurst und Fleisch geliefert. Mittwoch hätte ich nicht mal eben 4 Kotletts kaufen können, die gab es dann nämlich nicht.

Meine Eltern hatten damals einen Trabant, original aus deutscher Fertigung. ^^ Leider hat schon nach 40.000 km die Kurbelwelle schlappgemacht, was wohl häufiger passiert ist, jedenfalls verfügte keine der Vertragswerkstätten über dieses Ersatzteil oder konnte es beschaffen. Zum Glück arbeitete meine Mutter in einem Unternehmen das Baustoffe handelte, also an einer Quelle. Ihr Laden bekam aller ein zwei Jahre mal ein Dutzend Kartons mit Wandfliesen, die waren rar wie Goldstaub. Jeder der etwas auf sich hielt, zum Beispiel der KFZ-Meister mit Trabant-Vertragswerkstatt, wollte ein gefliestes Bad und so setzte dann ein reger Tausch ein. Meine Mutter verschaffte ihm die benötigten Fliesen, der Meister uns eine Kurbelwelle, die es doch angeblich nicht gab. Mitunter gab es richtige Ringtauschaktionen, Handtücher gegen Schinken, Schinken gegen Langspielplatte, Langspielplatte und 5 Sack Zement gegen eine Nähmaschine, selbstverständlich mit Wertausgleich.

Eine volle Warenverfügbarkeit habe ich in den letzten 15 Jahren der DDR nie erlebt. Neben den schon genannten Artikeln waren immer knapp: frisches Obst und Gemüse, frischer Fisch, PKW, Autoanhänger (beides mit jahrzehntelanger Wartezeit nach Vorbestellung), im Sommer Getränke und Eis, bestimmte Textilien, Bekleidung, Schuhe, Ersatzteile, Handwerkszeug, Baumaterialien jeder Art, Türschlösser und -beschläge, höherwertige Möbel, Tiefkühlschränke, Waschautomaten, Teppiche usw..

Südfrüchte wie Orangen oder Bananen gab es nur in den drei Wochen vor Weihnachten, sonst nicht. Frische Tomaten und Gurken nur in der normalen Erntesaison im Inland, aber nicht täglich, sondern sporadisch und auf Zuteilung. Mehr als 1 kg Tomaten bekam man nicht.

Um die Dinge zusammenzukaufen, die ich für meinen ersten eigenen Haushalt brauchte, war ich Jahre unterwegs. Wie es die Ironie der Geschichte so wollte, bekam ich meine erste eigene Wohnung aber erst nach der Wiedervereinigung, wo es dann viele der einst raren Dinge immer gab. Nur hat noch Anfang 1989 niemand auch nur gedacht, daß es die DDR bald nicht mehr gibt.

SuperVegeta
14.04.2021, 20:24
Sehr interessant das alles zu lesen, Robert!

Ab wann machte sich denn das Gefühl bei der Mehrheit breit "das geht so nicht weiter. Schau dir an was im Westen möglich ist und wir haben hier kaum was oder müssen ewig warten"

Zu welchem Zeitpunkt fiel das der breiten Masse auf und gab es Protestbewegungen, die sofort niedergeschlagen wurden. Wann ist der Domino umgekippt und die Leute wollten nicht mehr? Gabs nen Auslöser oder kam das schleichend?

robert234
15.04.2021, 13:30
Ab wann machte sich denn das Gefühl bei der Mehrheit breit "das geht so nicht weiter.
Ich kann unmöglich beurteilen, wann eine Mehrheit welche Gefühle hatte. :mrgreen:

Die allgemeine Versorgungslage verschlechterte sich ab Beginn der 1970er Jahre zusehens und damit einhergehend auch der Unmut. Gleichwohl waren diese Verhältnisse aus der Sicht eines verständigen DDR-Bürgers alternativlos, denn die Machtverhältnisse waren eindeutig. Jeder Aufstand wäre niedergeschlagen worden, auch blutig. Daß das 1989 nicht geschah, war einzig der veränderten politischen und wirtschaftlichen Situation in Moskau geschuldet. Kein Vorgänger von Gorbatschow hätte den Deutschen dieses Zugeständnis gemacht und ob Gorbatschow es gemacht hätte, wenn der SU zu dieser Zeit wirtschaftlich nicht das Wasser bis zum Halse gestanden hätte, ist ungewiß. Ich würde eher sagen nein.

Jedenfalls hatte sich die SU totgerüstet und so den Rüstungswettlauf mit dem Westen verloren. Während in den 1980er Jahren die SU fast die Hälfte ihres Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und Militär ausgab, waren es in den NATO-Staaten lediglich 6%. Der Westen konnte das dank seiner soliden Wirtschaft locker wegstecken, die SU nicht. Die DDR war für die SU militärisch aufgrund veränderter militärtechnischer Möglichkeiten nicht mehr von solcher strategischer Bedeutung, die DDR eher ein Klotz am Bein. Eine halbe Million Soldaten + Familien + Kasernen so weit weg von der SU zu versorgen war ein irrer Aufwand, das muß man ganz klar sehen.

Die Stasi hat über Jahrzehnte ganze Arbeit geleistet und bis auf ganz wenige Einzelfälle kritische Entwicklungen frühzeitig erkannt und Kritiker ausgeschaltet. Diese Gefahr war auch jedem Bürger bewußt, wer trotzdem den Kopf aus dem Loch steckte, landete im Zuchthaus und bekam samt seiner Familie anschließend nie mehr einen Fuß in die Tür. Nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 gab es bis 1989 keine weiteren Proteste in dieser Größenordnung. Schon kleinste Anbahnungen wurden rigoros verfolgt, google mal nach Oberschülerprozeß Werdau.

Die wirtschaftlich ausweglose Lage der DDR konnte spätestens ab Anfang der 1980er Jahre niemand mehr übersehen, die Ursachen waren allgemein aber nachvollziehbar und Auswege nicht in Sicht. Daß es etwas gebracht hätte gegen das bewaffnete Sicherheitssystem der Staatsgewalt anzurennen, darauf wären zu dieser Zeit höchstens Idioten gekommen. Die Erinnerungen an 1953 waren nicht verblaßt. Dann aber kamen Signale des Wandels aus Moskau unter Gorbatschow, es wurde erkennbar, daß die SU nicht mehr wie bisher regimestützend hinter der SED stand und sich insoweit gewisse Unsicherheit in deren Reihen breit machte. Da wurden die Menschen mutiger und testeten Schritt für Schritt, wie weit sie gehen konnten. Irgendwann 1989 erreichte das dann Dimensionen, die man nur noch mit einem Blutbad hätte niederschlagen können. Zugleich war der DDR-Führung aber wohl auch klar, daß sie sich dann der lebensnotwendigen Unterstützung der BRD begeben hätten und ihr System schließlich zeitnah implodiert wäre. Kein Stasi-Häscher hätte noch weitergemacht, wenn er nicht mehr bezahlt worden wäre. Aber wenn die Volkswirtschaft kein Geld mehr generiert, ist Ende Gelände. Ohne die Unterstützung der SU war die DDR nicht lebensfähig und eben diese Unterstützung konnte und wollte die SU damals nicht mehr länger geben. Die DDR wäre auch ohne die Bürgerproteste zusammengebrochen, oder man hätte es gewagt in die BRD einzumarschieren, die Vorbereitungen dafür waren abgeschlossen.

Ich ahne die nächste Frage: Welche Vorbereitungen? ^^

SuperVegeta
15.04.2021, 14:30
Man zog es ernsthaft in Erwägung in die BRD einzumarschieren (feindlich) ? Hätte das klappen können, wenn man nur die Militärstärke der BRD Und DDR miteinander vergleicht?

Welche Vorbereitungen wurden da schon getroffen? :icon_viking:

robert234
15.04.2021, 17:37
Man zog es ernsthaft in Erwägung in die BRD einzumarschieren (feindlich) ?
Gibt es derlei Einmärsche auch friedlicher Natur? :gruebel:

Offiziell werden diese Kriegspläne im Sinne eines Erstschlags zwar bestritten, aber die Vorbereitungen widerlegen das nach meiner Überzeugung eindeutig.

Die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR hatte als Vorrats- und Nachschubbasen mehr als ein Dutzend riesiger unterirdischer Depots eingerichtet, die sogenannten Komplexlager. Dabei handelte es sich um hektargroße Stollen- und Bunkeranlagen mit Eisenbahnanschlüssen und Be- und Entlademöglichkeit (Bahnsteig) in diesen Anlagen. Dort lagerte die NVA ihr Material für den Kriegsfall, also Waffen, Munition, Uniformen und andere Ausrüstung, Sanitätsmaterial, Treibstoffe und was man sonst so braucht.

Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches, jede Armee lagert irgendwo derlei Material. Bemerkenswert ist jedoch die Wahl der Standorte nahezu sämtlicher dieser Riesenlager, denn sie wurden in einer Entfernung von 30 bis 40 km zur innerdeutschen Grenze angelegt. Die Artillerie der damaligen Zeit hätte vom Gebiet der Bundesrepublik aus problemlos diese Depots und noch Dutzende Kilometer weiter unter Sperrfeuer legen und den Zugriff der NVA auf ihr Material so verhindern können.

Die Behauptung der SED war immer, daß die DDR ein friedliebendes Land sei und die Kriegstreiber im Westen säßen. Es gab eine umfangreiche Propaganda in Presse, Fernsehen, Schule usw., wonach der Westen bis an die Zähne bewaffnet an der Elbe stünde und kriegslüstern sei. Jederzeit, so die gebetsmühlenartig wiederholte Propaganda, drohe der Angriff der NATO auf die arme DDR, um "das Rad der Geschichte zurückzudrehen". Es galt demnach offiziell, daß die Kriegsgefahr und Bedrohung ganz klar von der NATO und den "Bonner Ultras" ausginge und daß die DDR daher vorbereitet sein müsse.

Mit dieser Begründung wurde der zwangsweise Wehrunterricht an den Schulen in der DDR eingeführt, ich meine das war 1979 oder 1980, zugleich die sogenannte "vormilitärische Ausbildung" während der Berufsausbildung. Jeder Lehrling wurde genötigt an diesen jährlich mehrwöchigen über die Berufsschulen zu organisierenden militärischen Ausbildungen teilzunehmen und sich dort in Uniform stecken und drillen zu lassen. Marschieren, Benutzen von Gasmaske und Schutzanzug, Schießen mit einer kleinkalibrigeren Ausführung der Kalaschnikow, Sturmbahn, Kriegsübungen in Wehrlagern, das gehörte damals pflichtig zur Berufsausbildung. Auf Gläubige und Kriegsverweigerer wurde keine Rücksicht genommen, die bedingungslose Teilnahme und Unterwerfung an dieser Ausbildung war zwingende Voraussetzung für den Facharbeiterabschluß.

Mithin wurden ab etwa 1980 sämtliche jungen DDR-Bürger ab dem 14. Lebensjahr militärisch ausgebildet und waren dann die sogenannte "Kampfreserve der Partei (SED)", mit anderen Worten Kanonenfutter zur Ergänzung der regulären Truppen.

Daneben gab es in der DDR auch noch die "Kampfgruppen der Arbeiterklasse", eine umfangreiche paramilitärische Gruppierung, die nicht zur offiziellen Truppenstärke der NVA zählte und den Zweck hatte, die geltenden Obergrenzen der Truppenstärke der Armee zu umgehen. Aus dem selben Grunde gliederte die DDR formal auch die Grenztruppen aus, obwohl das praktisch nichts Anderes war, als ein Teil der Armee.

Fassen wir kurz zusammen, die BRD und die NATO bedrohten massiv die friedliebende DDR, es war jederzeit mit dem Angriff des imperialistischen Westens zu rechnen, deshalb, so die Behauptung, all diese Vorbereitungen, zum Schutz der DDR.

Nun wollen wir zurückkehren zu den von der DDR angelegten Komplexlagern der NVA, in Reichweite der feindlichen Artillerie und wenn der Westen tatsächlich die DDR angegriffen hätte, wären diese Gebiete binnen einer halben Stunde besetzt worden und der Zugriff der NVA auf sein Material unmöglich. Niemand der wirklich ein Kriegsszenario für wahrscheinlich hielt, wie es die DDR offiziell propagierte, würde sein Material ausgerechnet in Regionen einlagern, die als Erstes vom Feind überrollt werden. Das ergibt absolut keinen Sinn.

Einen Sinn ergibt jedoch diese Platzierung der Nachschublager dann und zwar nur dann, wenn die NVA zuerst losschlagen und den Westen angreifen sollte. Denn dann hätte sie beim Vorrücken ihren Nachschub an Material schön nah griffbereit parat gehabt. Die NATO war klar luftüberlegen, längere Transportwege für den Nachschub wären daher riskant gewesen.

Hier mal ein Foto aus einem dieser Komplexlager mit einem System aus 6,7 ha (!) Lagerfläche in Stollen:

SuperVegeta
15.04.2021, 19:08
Interessant. Wobei ein Einmarsch sicherlich einen nächsten großen Krieg ausgelöst hätte, oder? BRD mit den Westallierten gegen die DDR und die SU ? Also so richtig kurz vor dem Eskalieren war es doch hoffentlich zu keinem zeitpunkt? (Wie z.b. damals im kalten Krieg mit den Atomraketen vor / auf Kuba, wo man sagt da hat nicht viel gefehlt bis zur Eskalation)

robert234
15.04.2021, 23:16
Wobei ein Einmarsch sicherlich einen nächsten großen Krieg ausgelöst hätte, oder?
Möglich, vermutlich ist es genau deshalb auch unterblieben.

Es gab auch Pläne des Ostblocks zur Besetzung Westeuropas, Eckpunkte dabei waren der frühzeitige Einsatz taktischer Atomwaffen, das Vorrücken der eigenen Truppen in maximal zwei Tagen bis an den Rhein, damit die verstrahlten eigenen Soldaten noch halbwegs kampffähig wären und von ihrer Verstrahlung noch nichts spüren. Dann Nachführung weiterer Truppen und Eroberung von Benelux und Frankreich. Vor diesem Szenario hat uns vor allem eines bewahrt: Die drohende atomare Vergeltung durch die USA, gegen deren Atomwaffen nicht nur damals weniger scharfblickende Zeitgenossen demonstriert haben. Konventionell war der Warschauer Vertrag der NATO weit überlegen, abgeschreckt haben die Atomwaffen. Ihre Existenz und die Endgültigkeit einer atomaren Konfrontation haben den Dritten WK verhindert, nicht die Grünen, nicht irgendwelche Demos oder Weltverbesserertum. Der zu hohe Preis ist das was wirklich zählt, ist der Preis vertretbar, passieren die Ostukraine, die Krim, Syrien usw..

SuperVegeta
16.04.2021, 14:15
Gab es eigentlich auch Vorfälle, wie z.B. dass BRD-Bürger in der DDR festgenommen worden sind und ins Gefängnis kamen? Falls ja, wie hat die BRD darauf reagiert? Oder hat die DDR dann die Bürger aus der BRD einfach "abgeschoben", wenn diese z.B. sich nicht meinungskonform geäußert haben oder gar Proteste organisieren wollten.

Wie war eigentlich das diplomatische Verhältnis BRD und DDR - feindselig oder einfach nur unterkühlt?

robert234
16.04.2021, 16:49
Gab es eigentlich auch Vorfälle, wie z.B. dass BRD-Bürger in der DDR festgenommen worden sind und ins Gefängnis kamen?
Natürlich, wenn sie strafbare Handlungen begangen hatten, dann durchaus. Wegen Meinungsäußerungen ist mir bei Bundesbürgern derlei nicht bekannt, aber das wäre dann garantiert deren letzte Einreise gewesen. Daß Bundesbürger in der DDR Proteste organsieren wollten, ist mir weder bekannt noch für mich vorstellbar, denn welches Interesse sollten sie daran haben? Man lebte so nebeneinander her, über die DDR wußte man als normaler Bundesbürger herzlich wenig und damit hatte sich das. Die DDR lieferte qualitativ prima Ware zum Schnäppchenpreis, man konnte billig seinen Müll in die Zone schaffen und war damit nicht unzufrieden.


Wie war eigentlich das diplomatische Verhältnis BRD und DDR - feindselig oder einfach nur unterkühlt?
Geprägt von großer Ambivalenz, würde ich sagen. Lange Zeit hat die Bundesrepublik die DDR als Staat nicht anerkannt, es gab nie eine Botschaft der BRD in der DDR, sondern nur die sogenannte Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, um sich einen Sprachkanal offen zu halten. Auf beiden Seiten gab es mal Hardliner, aber auch Akteure, die aus Patriotismus, Vernunft oder Sachzwängen versuchten das innerdeutsche Verhältnis zu entspannen.

Der erste Staatsbesuch eines ostdeutschen Staatschefs fand erst statt, nachdem Gorbatschow an die Macht gekommen war. Honecker hatte zwar schon vorher einen Anlauf genommen, wurde aber von Gorbatschows Amtsvorgänger Tschernenko nach Moskau beordert und zurechtgestutzt. Man gab Honecker klar zu verstehen, daß man es nicht tolerieren würde, wenn er einen Staatsbesuch in der BRD durchführt, seine Absetzung wäre die Folge gewesen. Der Berater aus dem SED-Politbüro, der für Honecker den beabsichtigten Staatsbesuch geplant und vorbereitet hatte, wurde aus dem Politbüro gefeuert und in die Psychiatrie eingewiesen.

Soweit ich das weiß, liefen die Kontakte Ost-West im wesentlichen auf der Arbeitsebene. Wenn die BRD das Regime in Ost-Berlin nicht massiv wirtschaftlich gestützt hätte, wäre die DDR wirtschaftlich schon 10 bis 15 Jahre früher zusammengebrochen. Ist das Diplomatie? Ich weiß es nicht.

rv
17.04.2021, 15:20
Sehr sehr interessante (Erfahrungs-)Berichte, Rob! :meister:

Zwei generelle Fragen drängen sich mir auf:

1) Wie beurteilst du das Risiko, dass tatsächlich der Westen einen Schlag gegen den Osten durchgeführt hätte? War es gering, weil der Westen wirtschaftlich überlegen war und deshalb unter Abwägung von Risiko/Nutzen keine militärischen Operationen durchführen wollte, im Gegensatz zum abgehängten (und damit aggressiveren) Osten?

2) Inwiefern hat die BRD die DDR massiv wirtschaftlich gestützt? Meinst du damit, dass die BRD bevorzugt aus der DDR billige Waren bezogen hat, obwohl es evtl. geeignetere Märkte gegeben hätte? Oder meinst du eine direkte Unterstützung wie etwa Zusendung von Industriemaschinen mit hohem Rabatt? Nehmen wir nun mal an, dass die BRD die DDR nicht wirtschaftlich gestützt, sondern vielleicht sogar sanktioniert hätte. Meinst du nicht, dass wie in anderen Ländern, die unter massivem internationalen Druck stehen (Iran, Nordkorea), hier einfach eine weitere Verarmung und Güterverknappung in der DDR eingesetzt hätte, die trotzdem zu keinem Regimewechsel führt, eben weil der Überwachungs- und Polizeiapparat so gut funktionierte? Insbesondere, wenn sich die DDR in das digitale Zeitalter hätte retten können, sodass man nicht mehr auf die Gunst der Stasi-Spitzel angewiesen ist (die natürlich finanziell entlohnt werden wollen), sondern nach chinesischem Vorbild digitale Überwachung durchführen kann.
Wäre die DDR nach dem Zusammenbruch der SU irgendwann zwangsläufig zusammengebrochen, weil die DDR massiv von der SU abhängig war, oder hätte Russland einfach die Rolle der SU eingenommen?

Offtopic: Was ist deine persönliche Meinung zur nuklearen Abschreckung? Kühl betrachtet müsste man wohl eine Art Erwartungswert des Schadens für einen gewissen Zeitraum abschätzen, nämlich Wahrscheinlichkeit eines eskalierenden Kriegs multipliziert mit dem dann erwarteten Schaden (wie auch immer man den quantifiziert). Aufgrund der nuklearen Abschreckung ist der erste Faktor extrem gering, der zweite extrem hoch. Ohne nukleare Abschreckung wäre der erste Faktor deutlich höher, der zweite aber geringer.

robert234
18.04.2021, 02:18
Wie beurteilst du das Risiko, dass tatsächlich der Westen einen Schlag gegen den Osten durchgeführt hätte?
Objektiv mit nahezu Null. Was hatte die DDR, was von Interesse für den Westen hätte sein können? Nichts. War ein Atomkrieg gegen die Sowjetunion gewinnbar? Nein. Ich erkenne keinen einzigen Grund, warum der Westen die DDR hätte angreifen sollen. Propagieren mußte man das in der DDR aber anders, wie hätte man die gewaltigen Ausgaben für das Militär und die Scharfmacherei sonst begründen sollen? Für den Westen war das doch eine wunderbare Sache, die DDR sorgte auf eigene Kosten dafür, daß Westeuropa weder von Ostdeutschen noch von Bürgern anderer Ostblockstaaten belästigt wurde.


Inwiefern hat die BRD die DDR massiv wirtschaftlich gestützt?
Denke mal an den von Strauß und Schalck-Golodkowski eingefädelten Milliardenkredit für die DDR, obwohl jedem Fachmann klar sein mußte, daß man dieses Geld nie wieder sieht. Denke an die Jahr für Jahr dreistelligen Millionenbeträge für Häftlingsfreikäufe aus der DDR, die Transitgebühren, den Müllhandel und vieles Andere mehr. Hinzu kamen Geschäfte wie der Aufbau einer hochmodernen Fabrik für die Herstellung von PVC, die Kooperation VW und IFA (Motorenherstellung in der DDR), vielfältige Produktionen unter anderem für Neckermann, Quelle, IKEA vom Stereoanlagen über Kühlschränke bis zu Geschirr.


Meinst du nicht, dass wie in anderen Ländern, die unter massivem internationalen Druck stehen (Iran, Nordkorea), hier einfach eine weitere Verarmung und Güterverknappung in der DDR eingesetzt hätte, die trotzdem zu keinem Regimewechsel führt, eben weil der Überwachungs- und Polizeiapparat so gut funktionierte?
Hat er 1989 funktioniert? Ich würde sagen nein. ;-)


Insbesondere, wenn sich die DDR in das digitale Zeitalter hätte retten können
Die DDR war digital Steinzeit, verfügte diesbezüglich über keine Technologien noch Möglichkeiten, da sie durch die CoCom-Bestimmungen von westlicher Technologie abgeschnitten war. Es gab weder Mobilfunktelefone, noch Internet noch hatte der gemeine DDR-Bürger einen PC. Selbst viele Betriebe und Behörden hatten das nicht.


hätte Russland einfach die Rolle der SU eingenommen?
Was die große SU sich nicht mehr wirtschaftlich leisten konnte, konnte sich auch Rußland nicht leisten. Wie schon geschrieben, hatte durch den Fortschritt bei modernen Waffensystemen die DDR keine strategische Bedeutung mehr für die SU und auch nicht für Rußland. Außerdem konnte man das nur komplett machen, also nicht nur die DDR halten und unterstützen, sondern den gesamten Ostblock. Oder eben kein Land davon. Die SU hat sich für die letztgenannte Alternative entschieden.


Was ist deine persönliche Meinung zur nuklearen Abschreckung?
Ich halte sehr viel davon und die Erfahrung zeigt, daß verschiedene Mächte munter in der Welt Kriege führen, in Ruhe gelassen werden jedoch durchweg Staaten, von denen die Gefahr ausgeht, daß sie Atomschläge führen könnten. Ob Mordkorea wirklich über einsatzfähige Atomwaffen und Trägersysteme verfügt, ist nicht erwiesen. Aber allein der Umstand daß man es nicht ausschließen kann, sorgt dafür, daß man keinen Angriff wagt. Der umgekehrte Fall ist die Ukraine, diese verfügte zur Zeit der SU als deren Teilstaat über das zweitgrößte Atomwaffenarsenal der SU. 1994 begab sich die inzwischen unabhängige Ukraine aufgrund des sogenannten Budapester Memorandums sämtlicher seiner Atomwaffen und übergab diese an Rußland. Im Gegenzug bekam die Ukraine Sicherheitsgarantien von Rußland, Frankreich, Großbritannien und den USA, die sich inzwischen nicht nur als wertlos erwiesen haben, sondern ausgerechnet die "Garantiemacht" Rußland hat die Ukraine überfallen, die Krim annektiert und führt seit Jahren einen Krieg im Osten des Landes. Zur Zeit sammelt Rußland eine ungeheure Streitmacht an der Grenze zur Ukraine, möglicherweise mit der Absicht, dort einzumarschieren. Hätte die Ukraine noch Atomwaffen, wäre all das nicht passiert, denn dann hätte jeder Angriff einen hohen Preis, den auch Putin nicht würde zahlen wollen.

Ich finde daher die Forderung einiger "Friedensaktivisten" total bescheuert, daß die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollen. Wenn es nach mir ginge, hätten wir sogar eigene. Mit atomaren Verteidigungsoptionen kann man Defizite in der konventionellen Bewaffnung oder beim Personal wettmachen, das hat auch der Kalte Krieg bewiesen. Denn konventionell und von der Mannstärke war der Ostblock der NATO haushoch überlegen, aber die Existenz der Atomwaffen und die glaubhafte Androhung ihres frühen und auch ersten Einsatzes durch die NATO hat den Frieden bewahrt.

Wenn es auf der Welt noch keine Atomwaffen gäbe und man sicherstellen könnte, daß niemand diese hat, dann könnte man darüber diskutieren, ob man auf sie verzichten sollte. Aber nicht unter den Umständen, die Realität sind. Atomwaffen sind tatsächlich die ultimative Antwort und aus genau dieser Endgültigkeit entfließt ihre abschreckende Wirkung. Niemand will Kriege führen, die er nicht überleben kann. Es würde ja auch niemand Lotto spielen, wenn ausgeschlossen wäre, daß er gewinnen kann.

rv
18.04.2021, 13:55
Danke!

Bei dem Besitz von Atomwaffen durch Großmächte tendiere ich auch zu einer positiven Bewertung, aber das ist bloße Intuition. Denn die Wahrscheinlichkeit für einen Angriff ist nicht 0, und der bis jetzt kriegsfreie Zeitraum von ~70 Jahren einfach noch zu klein. Es ist möglich, dass die Verantwortlichen verrückt genug sind, zu glauben, den Gegner vernichten zu können, bevor er zurückschlagen kann. Verrückte Staatschefs bzw. Oberbefehlshaber sind beileibe nicht ausgeschlossen. Durch Stellvertreterkriege und kleinere Grenzverschiebungen kann auch stückweise die eigene Macht etwas erhöht werden, unter Provokation des gegnerischen Bündnisses. Das ist ja auch das, wovor kleinere NATO-Staaten Angst haben, dass sie im Ernstfall eines Angriffs doch nicht ausreichend verteidigt werden, und darauf kann der Gegner spekulieren. Und hier kommt die Zockerei ins Spiel, bei der ein Atomwaffeneinsatz die Folge sein könnte.

robert234
18.04.2021, 16:03
Es ist möglich, dass die Verantwortlichen verrückt genug sind, zu glauben, den Gegner vernichten zu können, bevor er zurückschlagen kann.
Das ist gerade nicht möglich und nennt sich das Prinzip der garantierten atomaren Vergeltung. Gewährleistet wird es über seegestützte Startbasen, also U-Boote mit Atomraketen, die ständig irgendwo in den Weltmeeren unterwegs sind und deren aktuelle Standorte daher nicht vorherzusagen sind. Diese können und sollen zurückschlagen, selbst wenn das Heimatland bereits vernichtet wäre.


Durch Stellvertreterkriege und kleinere Grenzverschiebungen kann auch stückweise die eigene Macht etwas erhöht werden, unter Provokation des gegnerischen Bündnisses. Das ist ja auch das, wovor kleinere NATO-Staaten Angst haben, dass sie im Ernstfall eines Angriffs doch nicht ausreichend verteidigt werden, und darauf kann der Gegner spekulieren.
Richtig, aber das ist keine Frage des Atomwaffeneinsatzes. Die drei baltischen Staaten gehören zur NATO, gleichwohl wären sie konventionell durch die NATO unmöglich gegen Rußland zu verteidigen und ob sie der NATO politisch und strategisch wichtig genug wären, um einen Atomkrieg loszutreten, ist mehr als fraglich. Deutschland würde die NATO sicherlich verteidigen, weil Deutschland wichtig ist. Aber Osteuropa ...

SuperVegeta
28.09.2021, 14:12
Stichwort: Treuhand.

Was hatte es damit eigentlich auf sich? Was war der Zweck der Treuhandanstalt und wie wurde es missbraucht / zweckentfremdet (Wirtschaftskriminalität) ? Man liest es immer mal wieder aber richtig nachhaltige Infos kurz und kompakt findet man nicht so schnell. Und der Wiki-Eintrag ist ellenlang.

Wäre daher mal interessant, die Sicht von einem Zeitzeugen dazu zu hören.

robert234
30.09.2021, 00:28
Die Wirtschaftsunternehmen der DDR waren in staatlicher Hand, also "Volkseigentum". Dieses Eigentum sah man im Westen jedoch nicht als Eigentum der DDR-Bürger an, sondern als Eigentum des übernommenen Staates DDR. Wenn das Eigentum aber nun einem Staat gehörte, der nicht mehr exisitiert und von der BRD übernommen wurde, so die Logik des Westens, gehören die Betriebe ab dem 3. Oktober 1990 dem Staat BRD. Da es nicht zu den Aufgaben eines Staates nach westlichem Verständnis gehört, Wirtschaftsunternehmen zu führen und der Privatwirtschaft quasi Konkurrenz zu machen, mußten die Staatsbetriebe privatisiert werden. Dazu suchte der Verkäufer, die BRD, nun private Käufer und die Treuhandanstalt war sozusagen das Verkaufsbüro für diese Transaktionen.

Klar war sofort, daß als Käufer praktisch nahezu ausschließlich nur Personen oder Firmen aus Westdeutschland in Frage kamen, denn erstens verfügten Ossis angesichts der sehr geringen Löhne in der DDR und vergleichsweise extremer Preise für bestimmte Konsumgüter in aller Regel über kein Vermögen und zweitens über keine Erfahrungen in der selbständigen Führung eines Unternehmens unter den Bedingungen der Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs. So bedienten sich westdeutsche Unternehmen dieses Angebots zu Ramschpreisen und kauften potentielle Wettbewerber auf, um sie dann gegen die Wand zu fahren und so vom Markt zu nehmen. Andere Ostbetriebe waren einfach zu sehr heruntergewirtschaftet, um im Wettbewerb zu überleben. Die DDR hatte ja ihre Planwirtschaft, der Staat plante was welcher Betrieb an Material, Personal und Betriebsmitteln bekommt und was in welcher Menge zu produzieren ist. Sogar die Preise wurden staatlich festgelegt und galten überall in der DDR. Innovationen waren diesem System fremd, das lief jeder langfristigen Planung schließlich zuwider und erforderte Ressourcen für die Entwicklung, die man gar nicht hatte. Denn Gewinne erzielten die Betriebe ja nicht, das schöpfte der Staat ab und gab dann einen kleinen Teil entsprechend der geplanten Kosten wieder in den Betrieb hinein. Das war aber alles hart auf Kante genäht, davon konnte man nicht forschen und entwickeln. So erklären sich Phänomene wie die über mehrere Jahrzehnte weitestgehend unverändert gebauten Trabant, Wartburg oder Barkas B1000 und das technologische Hinterherhinken gegenüber dem Westen.

Das Kaufinteresse westlicher Firmen beruhte daher nur selten darauf, die gekauften Betriebe ernsthaft weiter führen zu wollen. Meist diente das dem Ausschalten der Konkurrenz, oder man wollte an die in der DDR vertrauten ostdeutschen Marken gelangen und sich so Marktanteile in den neuen Ländern sichern. Die Resultate sprechen für sich, der größte Teil der Ostbetriebe verschwand, bis auf wenige industrielle "Leuchttürme" gab es eine weitestgehende Deindustrialisierung, die sich Morgenthau nicht besser hätte ausdenken können. Ostdeutschland hatte über viele Jahre wahnsinnig hohe Arbeitslosenquoten von 30 bis 40%, durch die "Freisetzungen". Noch heute gibt es in weiten Teilen Ostdeutschlands so gut wie keine Industrie mehr, man hat da ganze Arbeit geleistet. Im Grunde handelte es sich um die ökonomische Abwicklung der DDR auf Kosten des Ostens und auf Kosten der Steuerzahler. Die stärkste Volkswirtschaft des Ostblocks war auf einmal nichts mehr wert. Sagte man.